Samstag, 21. Juni 2014
Freitag, 20. Juni 2014
Gehörlos - Na und?
Was jeder über Gehörlose und Gebärdensprache wissen sollte
Es ist an der Zeit, einmal mit ein paar Vorurteilen gegenüber Gehörlosen aufzuräumen. Die meisten Hörenden wissen nur sehr wenig über die gehörlose Welt und immer wieder liest man in den Medien das Wort “Taubstumm”, was beweist, dass auch Journalisten zu wenig über die ca. 200.000 Hörgeschädigten in Deutschland und deren Sprache, die Gebärdensprache, wissen.
Also gibt es hier eine kleine “Bedienungsanleitung”, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Und so dann und wann kommt vielleicht ein Kapitel dazu.
I. “Taubstumm”
Der Ausdruck “Taubstumm” ist genauso wenig politisch korrekt wie “Neger” oder “Zigeuner”. Gehörlose empfinden diesen Ausdruck als Beleidigung. Aber warum? Für Hörende sind sie doch taub und stumm, man hört sie ja nicht sprechen. “Taub” an sich ist okay, das darf man sagen, denn es bezieht sich auf das Hören und das können Gehörlose ja nun mal nicht (echt jetzt). Aber stumm sind sie keineswegs.
“Stumm” suggeriert das Fehlen einer Sprache oder der Unfähigkeit, mit Stimme zu kommunizieren. Sie haben einen Kehlkopf, Stimmbänder und eine Sprache. Die Sprache der Gehörlosen (und vieler Schwerhöriger) ist die Gebärdensprache. Und die meisten Gehörlosen können durchaus mit Stimme kommunizieren! Sie können herzlich lachen (nein, sie lachen nicht stumm und sie lachen auch nicht in “Zeichensprache”, sie lachen wie Hörende: Herzlich, laut, schallend, mit Tränen in den Augen und halten sich dabei den Bauch. Sie weinen, sie schluchzen und wenn Du sie ärgerst, schreien sie Dich an. Wer mal ein paar Stunden mit Gehörlosen unterwegs war weiss, dass Gehörlose keinesfalls stumm sind. Kleine Bemerkung am Rande: sie sind oft sogar lauter als Hörende, da sie ihre Stimme eben nicht an die Lautstärke eines Raumes anpassen können. Gehörlose, die eine Spülmaschine ausräumen, können ebenfalls sehr laut sein :).
Werbung macht dumm
Der Ausdruck “Taubstumm” stammt aus einer Zeit, als man der Meinung war, man müsse Gehörlosen das Gebärden verbieten und sie zum Sprechen zwingen. Es ist ein diskriminierender Ausdruck, der - wenn man ihn von den Lippen liest - aussieht wie “Taubdumm”. Bis heute haben viele Menschen das Vorurteil, Gehörlose seien dumm. Das kommt wohl daher, dass - wenn sie mit Stimme sprechen - sich das *komisch* anhört. Komisch im Sinne von ungewohnt. Aber hast Du Dir mal zugehört, wenn Du Musik über Kopfhörer hörst und lauthals mitsingst? Das hört sich auch komisch an und Du triffst keinen Ton mehr.
Und weil sich’s *komisch* anhört, ernten Gehörlose in der Welt der Hörenden eben oft seltsame Blicke. Und bei vielen war das Spielen mit hörenden Kindern (und Kinder können grausam sein) schon ein Trauma, das dazu führte, dass sie so wenig wie möglich mit Stimme sprechen. Der Gehörlose ist nicht stumm. Hörende machen ihn dazu.
Ganz schön gruselig
Ich wurde vor einiger Zeit Zeuge einer Szene beim Bäcker:
Eine Gehörlose bestellt in Lautsprache einen Kaffee zum Mitnehmen. Ein älterer Mann, ebenfalls Kunde, sieht sie mitleidig an. Als der Kaffee kommt, fragt sie, wo die Milch zu finden sei. Der ältere Mann schnappt sich sofort den Kaffee, geht damit rüber zur Milch und schenkt die Milch ein, rührt sogar noch um und reicht ihr den Kaffee.
Das ist ungefähr so, wie wenn man einen Blinden einfach am Ärmel schnappt und irgendwo hin zerrt oder einen Rollstuhlfahrer einfach irgendwo hin fährt und führt meist dazu, dass der Gehörlose einen (mit Stimme und völlig berechtigt) anschreit: “Ich bin zwar taub, aber nicht dumm!”. Gehörlose brauchen in 90% des Alltags keinerlei Hilfe.
Retourkutsche
Gehörlose betrachten sich nicht als…
II. Behindert?
Gehörlose betrachten sich sehr oft als “sprachliche Minderheit” und eben nicht als Behinderte. Klar, sie haben einen Schwerbehinderten-Ausweis, den brauchen sie auch, um zum Beispiel einen Dolmetscher für Behördengänge etc. zu beantragen. Und in Museen etc. bekommen sie Rabatt, denn sie können ja zum Beispiel den Audio-Guide nicht verwenden.
Audio-Guide - bei Gehörlosen für die Katz
Bislang war es so, dass Gehörlose weniger GEZ-Gebühr zahlten, da nur ein Bruchteil der Sendungen untertitelt ist und ein Großteil des TV-Programms somit für die Katz ist. Man kann vielleicht die Empörung der Gehörlosen verstehen, als gefordert wurde, dass sie nun den vollen Satz bezahlen, doch noch immer sehr wenig Sendungen untertitelt werden.
Fragt man einen Gehörlosen, ob er - wenn er wählen dürfte - lieber hörend wäre, bekommt man in den meisten Fällen “Nein” zur Antwort.
Warum auch? Der Hörende denkt, dem Gehörlosen müsse etwas fehlen, vor allem die Musik und das Zwitschern von Vögeln, das Säuseln des Windes in Blättern eines Baumes… blah blah… aber fehlt dem Hörenden denn die Schönheit der Gebärdensprache? Fühlt er den Drang, in Gebärdensprache zu kommunizieren oder eine Aufführung des Gehörlosentheaters zu sehen? Oder Gebärden-Poesie? Okay, mir würde es schon fehlen. Aber den meisten Hörenden eben nicht. Und so fehlt den meisten Gehörlosen auch das Hören nicht, denn sie haben noch nie gehört.
Ein schwerhöriger Freund von mir bekam nun mit über 40 Jahren ein neues, digitales Hörgerät mit klarerem Klang und intelligenterer Verstärkung von Sprache z.B. vor Hintergrundgeräuschen. Er bat seinen Hörgeräteakustiker, die Qualität wieder schlechter zu machen, da er plötzlich Dinge hörte, die er gar nicht hören wollte und die ihn nur irritierten. So geht es auch Gehörlosen mit Cochlea-Implantat. Wenn man bis ins Erwachsenenalter nichts gehört hat und plötzlich die Geräusche in einer Tram oder Menschenmenge hört, ist das erstmal eine totale Überforderung.
Viele Gehörlose lieben Musik. Sie muss nur laut genug sein. Und dann tanzen sie auch. Das heißt aber nicht, dass sie Musik noch gut finden würden, wenn sie sie hören könnten!
Außerdem kritisieren viele Gehörlose das Cochlea-Implantat, da damit ein Teil der Gehörlosenkultur ausstirbt...
III. Gehörlosenkultur
Ja, richtig gelesen. Es gibt eine Gehörlosenkultur mit eigener Sprache, Theater, Gebärden-Chor, Gebärden-Poesie, Gebärden-Witzen, Tanz(!) und vieles mehr!
Tobias Kramer, gehörloser Tänzer und Tanzlehrer
Gehörlose bleiben - aus oben genannten Gründen - oft unter sich. Das verbindende Element ist die Gebärdensprache. Es ist eine kleine Gemeinschaft, die wie eine Familie nach außen absolut geschlossen steht, in sich oft zerstritten ist, kreativ ist, sich gegenseitig hilft, liebt und hasst… es ist eben wie bei jeder Minderheit. Die Gehörlosenzentren in größeren Städten oder so genannte KoFos (Kommunikationsforen) sind die Kulturzentren der Gehörlosenkultur.
Nimmt man ihnen jedoch die Gebärdensprache, bzw. stirbt diese aus, weil immer weniger Menschen dieser sprachlichen Minderheit sie lernen, so stirbt auch die Gehörlosenkultur aus.
III. Lippen lesen
Wie finden sich Gehörlose also in der hörenden Welt zurecht? Na klar, sie lesen Lippen, denken Hörende. Ja, wenn das so einfach wäre. Im Schnitt kann man nur ca. 20% der vermittelten Inhalte von den Lippen ablesen und das ist EXTREM anstrengend. O und U sind kaum zu unterscheiden, genauso S und T, H und R… wie soll das gehen? Bei einfachen Worten (Bitte, danke…) mag das gehen. Aber Hörende sprechen oft undeutlich, haben einen Bart, nuscheln vor sich hin, sehen den Gehörlosen beim Sprechen nicht an.
Dass Gehörlose problemlos Lippen lesen können ist ein Märchen.
Read my lips!
Viel mehr hilft dabei die Mimik und die Gestik. “Mundbild”, Gestik und Mimik sind Bestandteile der…
IV. Gebärdensprache
Die Gebärdensprache heißt Gebärdensprache und nicht “Zeichensprache”, da sie eben nicht nur aus Handzeichen besteht.
Stellt man einen Gehörlosen hinter eine Wand mit zwei Öffnungen für die Arme, wird ein Gehörloser auf der anderen Seite ihn kaum verstehen. Das wäre etwa so wie beim Lippen lesen.
Gebärdensprache ist eine eigenständige Sprache mit ca. 18.000 Worten. Genauso, wie man im Deutschen Wörter praktisch beliebig zusammenbauen kann (Donaudampfschifffahrtsgesellschaft), kann man das in der deutschen Gebärdensprache auch und kommt so auf einen Wortschatz von über 250.000 Worten/Ausdrücken. Wieviele das genau sind, weiß keine Sau, denn leider gibt es noch nicht wirklich einen “Duden”.
Dazu kommt, dass es regionale Dialekte gibt und z.B. Wochentage je nach Region unterschiedliche Gebärden haben. Trotzdem verstehen sich Gehörlose aus unterschiedlichen Bundesländern untereinander genauso gut (oder schlecht) wie Hörende aus Bayern mit Hörenden aus Hamburg.
Nein, Gebärdensprache ist auch nicht international. In Deutschland gibt es die Deutsche Gebärdensprache (DGS), in Österreich die ÖGS, in der Schweiz die SGS, in USA die American Sign Language (ASL) u.s.w.
So gibt es in Europa mehr Gebärdensprachen als gesprochene Sprachen!
Gebärdensprache hat eine eigene Grammatik mit sehr spannenden Besonderheiten. Zum Beispiel “Richtungsverben”. Gebärdet man zum Beispiel “Helfen”, so kann diese Gebärde in verschiedene Richtungen ausgeführt werden. Gebärde ich in Deine Richtung bedeutet das “Ich helfe Dir”. Gebärde ich von Dir zu mir, bedeutet das, dass ich Hilfe von Dir bekomme. Ziehe ich dabei die Augenbrauen hoch, ist es eine Frage: “Hilfst Du mir?” oder “Soll ich Dir helfen?”. Möchte ich einen Kaffee, mache ich mit den Händen die Gebärde für Kaffee (wie eine Kaffee-Mühle), ziehe dabei die Augenbrauen hoch (=Frage) und schürze die Lippen, so dass eine Art “Dackelblick” dabei raus kommt. Ziehe ich die Augenbrauen nach unten, presse die Lippen dabei zusammen und nicke einmal, dann heißt das “Lass uns einen Kaffee trinken!”. Rolle ich die Augen, wenn ich “Bruder” gebärde, ist klar, dass ich gleich etwas über meinen Bruder erzähle, das irgendwie verrückt oder doof ist… So wie man in der gesprochenen Sprache eine Betonung verwenden würde oder sowas sagt wie “Boah, mein Bruder wieder, eh!”.
Ein ganzer Satz in einer einzigen Gebärde! Gebärdensprache ist sehr effizient!
Außerdem kann man Dinge oder Personen im Raum vor sich positionieren. Erzähle ich zum Beispiel von Thomas und Markus, mit denen ich etwas erlebt habe, dann gebärde ich Thomas und positioniere ihn links vor mir. Dann gebärde ich den Namen von Markus und positioniere ihn rechts vor mir. Im Nachfolgenden kann ich ein Gespräch zwischen den beiden wieder geben, indem ich deren Rollen übernehme (das heißt auch “Rollenübernahme”). Drehe ich mich leicht mit dem Oberkörper nach rechts Richtung Markus, dann spreche ich als Thomas. Drehe ich mich nach links zu Thomas, spreche ich als Markus. Ist Markus ein kleines Kind, das zum erwachsenen Thomas aufblickt, so schaue ich nach oben. Thomas hingegen schaut nach unten. So sind auch gleich die Größenverhältnisse klar.
Gebärdensprache hat ein Bisschen was von Theater. Manchmal spielt man dabei kleine Szenen. Dabei vermittelt die Art und Weise, wie ich das spiele, einen großen Teil der Inhalte. Erzähle ich zum Beispiel “Eine Katze schlich langsam über das Dach, aber das Dach war heiß und die Katze hüpfte herum und raste über das Dach!” so sind dafür nur wenige Gebärden notwendig und man übernimmt die Rolle der Katze. Ja, man spielt wirklich eine Katze: “Katze, Dach (oben drauf), AB HIER: ROLLENÜBERNAHME gehen (langsam ausgeführt), aber heiß (erschrecken), Pfoten anheben/hüpfen, wegflitzen”. Man kann das nur bedingt aufschreiben, doch in Gebärden würde es sogar ein Hörender verstehen, denn es ist sehr anschaulich. Und meist sogar unglaublich lustig.
Durch das “Spielen” der Szene wird unglaublich viel Inhalt übermittelt, wofür man viele Sätze in gesprochener Sprache benötigen würde, noch mehr in geschriebener Sprache, da man beim Sprechen die Stimme modulieren kann.
Ach ja und dann gibt’s noch die Zeiten… Erzähle ich etwas, das sich in der Vergangenheit abgespielt hat, gebärde ich am Anfang z.B. einmal “letzte Woche” und ab da ganz normal im Präsens, als wäre der Zuhörer in dem Moment dabei. Verpasst man das “letzte Woche”, weil man grad woanders hin geschaut hat, weiß man nicht, ob das vorbei ist, gerade passiert oder erst passieren wird.
Im Deutschen ist die Zeit in jedem Satz redundant enthalten: “Ich ging in die Stadt. Dort habe ich eingekauft. Dort fand ich eine Hose. Die hat mir gefallen. Dann habe ich sie gekauft und ging wieder nach Hause”. Das ist in der Gebärdensprache nicht so redundant gelöst. Sie ist sehr effizient, direkt, ohne blah blah.
Spricht man über eine Person im Raum, zeigt man mit dem Zeigefinger auf sie.
Gefällt einem etwas nicht, verzieht man das Gesicht oder streckt die Zunge raus.
Also, alles was man als Kind nicht durfte.
Hat eine Frau, über die man spricht, hängende Brüste, so gebärdet man auch hängende Brüste (und das verstehen auch Hörende). Es kann sogar sein, dass “Hängebrust” ihr offizieller Gebärdenname wird.
Spricht man über einen glatzköpfigen Mann, gebärdet man “Glatze” und auch das kann sein Gebärdenname werden. Mein Gebärdenname bezieht sich übrigens auf den Seitenscheitel, den ich früher einmal hatte. Das ist auch schon das Problem mit den Gebärdennamen, sie werden oft nicht aktualisiert und so kann ein glatzköpfiger Mann noch den Gebärdennamen “Pferdeschwanz” haben oder eine Frau mit Silikon-Brüsten weiterhin “Hängebrust” heißen.
Noch ein paar Beispiele für Gebärden-Grammatik:
Das Auto meines Vaters = Mein Vater sein Auto (ich nenne das schwäbische Grammatik)
Meine Mutter geht einkaufen = Meine Mutter einkaufen geht
Frag doch mal meinen Bruder, ob er ins Kino mitkommen will = Mein Bruder (positioniert im Raum) frag (Richtungsverb) ROLLENÜBERNAHME Kino mitkommen will? (Augenbrauen hochziehen).
Und die Gebärde für Bruder, Schwester oder “Geschwister” sind im Prinzip dieselben. Sie unterscheiden sich nur vom Mundbild her. Wenn ich “Bruder” meine, forme ich mit den Lippen das Wort “Bruder”. Bei “Schwester” eben das Wort “Schwester”. Daher ist das Mundbild ebenso wichtig, um die Gebärdensprache zu verstehen.
“Aber das ist ja dann Lippen lesen!” wirst Du Dir jetzt denken. Ja, ist es auch. Aber in Verbindung mit “Handzeichen”, Bewegung, Richtung, Geschwindigkeit, Position im Raum, Gesichtsausdruck, kurz: der gesamten Körpersprache, entsteht ein genaues Bild von dem, was derjenige sagen möchte.
Es gibt nichts, was man in Gebärdensprache nicht ausdrücken könnte. Gebärdensprache ist kein Hilfsmittel, kein Vehikel. Es ist eine vollwertige Sprache.
Fehlt wirklich mal ein Wort (das kommt im Deutschen auch oft vor und man borgt sich dann eben ein Wort aus dem Englischen oder erfindet ein Wort wie “Handy”), kann man es buchstabieren.
Das ist sehr praktisch, wenn man mal eine Gebärde nicht kennt! Das geht in keiner anderen Sprache. Wenn ich einen Chinesen fragen möchte, wo der Bahnhof ist, hilt es auch nicht, wenn ich Bahnhof buchstabiere. In der Gebärdensprache geht das (zumindest zwischen DGS und Deutsch oder ASL und Amerikanischem Englisch, bzw. BSL und Britischem Englisch). So werden zum Beispiel auch Eigennamen buchstabiert. Da das aber verhältnismäßig lange dauert und anstrengend ist, buchstabiert man nicht jedes Mal SEBASTIAN SCHWEINSTEIGER, sondern man gebärdet SCHWEIN und HINAUFSTEIGEN. Bei Jogi Löw gebärdet man LÖWE. Oder für Angela Merkel gebärdet man entweder die hängenden Mundwinkel oder auch die sich berührenden Fingerspitzen vor dem Bauch.
Angela Merkel
Das wird dann zu einer so genannten Namensgebärde. Die kann man sich nicht aussuchen, die wird einem von der Gehörlosengemeinschaft vergeben und ist manchmal mehr, manchmal weniger charmant. Fast immer geht es dabei um Äußerlichkeiten oder Eigenschaften wie beispielsweise “frech” oder “direkt”. Der Gebärdenname hat aber meist nichts mit dem Namen zu tun, der im Pass steht. Ein Mann und eine Frau können denselben Gebärdennamen bekommen, auch wenn sie Andreas und Jacqueline heißen. Ein anderer Andreas kann einen ganz anderen Gebärdennamen haben.
V. Umgang mit Gehörlosen (als Hörender)
Gehörlose erschrecken sich genauso wie ein Hörender, wenn man plötzlich hinter ihnen steht. Wir hören meist, wenn jemand rein kommt. Um Gehörlose hier “vorzuwarnen”, wenn man den Raum betritt, kann man - statt anzuklopfen - das Licht kurz an und aus schalten, wenn man schon drin ist. Alternativ kann man auch mit dem Fuß ein paarmal aufstampfen, Gehörlose reagieren dann auf die Erschütterung. Das geht allerdings nicht bei Beton-Boden oder Asphalt.
Sind da mehrere Gehörlose und der eine steht einem zugewandt, signalisiert man ihm, dass er den anderen anstupsen soll.
Oder man wirft einfach etwas :)
Gehörlose verstehen Dich besser, wenn Du mit möglichst viel Mimik und Gestik und deutlich sprichst. Du musst keine Gebärden verwenden, aber wie man “TÜR” oder “2. LINKS” fuchtelt, dürfte auch klar sein, oder? Wenn Du die Gebärde für “Danke” nicht kennst, nicke einfach, lächle und mach die Augen kurz zu. Wenn Du erzählen willst, was sich wo in einem Raum befindet, baue ein kleines Modell mit Deinen Händen und zeige. Beschreibe möglichst räumlich und anschaulich mit Deinen Händen.
“Das finde ich nun wirklich nicht gut, das gefällt mir nicht” mit ausdrucksloser Mimik versteht kein Gehörloser. Lass Dein Gesicht ausdrücken, was Du fühlst. Wenn’s zum Kotzen ist, dann tu so, als ob Du kotzt. Wenn’s geil ist, dann juble.
Wichtig ist nur: Schaut Euch an. Sonst wird’s nix mit der Kommunikation.
In fremden Ländern traut man sich ja oft nicht, ein Wort in einer fremden Sprache zu sagen, weil man Angst hat, statt “Vielen Dank” sowas wie “Ich furze in den Bart Deiner Mutter” zu sagen, weil man etwas falsch ausspricht. Bei Gebärden brauchst Du hier keine Angst zu haben. Alles, was Dir als Hörender an Gebärden einfallen wird für Gegenstände oder Tätigkeiten, darf verwendet werden (und wird oft sogar in der Gebärdensprache dieselbe Gebärde haben). Milch zum Beispiel. Was fällt Dir ein? Kuh. Melken. Genau das ist die Gebärde. Tür aufmachen? Klar: Klinke drücken, Tür öffnen. Genau. Da kann nichts unanständiges dabei rauskommen. Und wenn, dann ist es sicherlich lustig.
Taxi? Die Gebärde ist auch klar, oder? Nein? Haha! Reingelegt. Die ist jetzt nicht so eindeutig. Man formt ein X mit den Zeigefingern und führt die Hände von sich weg. Schlägt man die Zeigefinger aber aufeinander, kann das “Sex” bedeuten.
Aber wie gesagt: die “Handzeichen” alleine bedeuten meist recht wenig. Hat man sich bei Gehörlosen in der U-Bahn ein Handzeichen abgeschaut und fragt einen anderen Gehörlosen, wird er nicht sagen können, was das bedeutet. Das Gesamtbild mit Mimik etc. gehört dazu. Und mit der Zunge im Mundwinkel und zusammengekniffenen Augen wird aus “SEX” dann “GEILER SEX”. Der Kontext ist natürlich auch wichtig. Wenn es darum geht, wie man zum Bahnhof kommt, wird neben U-Bahn, S-Bahn, Tram und Bus wohl eher TAXI eine der Optionen sein und nicht “SEX” gemeint sein. Weiß man den Kontext nicht, ist es oft schwierig, Gehörlose in der U-Bahn zu “belauschen”. Wenn einer auf Dich zeigt und sich der andere umdreht, dann weißt Du aber, dass Du beim Lauschen erwischt wurdest. Dann hilft nur Lächeln und die Gebärde für “Tschuldigung” (Du streichelst ein paarmal mit der rechten Hand über den linken Unterarm).
Wer noch weitere Hinweise hat oder Kommentare, Korrekturen etc.: Bitte melden. Das gilt natürlich auch für Fragen!