Mittwoch, 2. Juli 2014

Hörend - Na und?

Was jeder Gehörlose über Hörende und Hören wissen sollte

Es gibt jede Menge Missverständnisse zwischen Hörenden und Gehörlosen. Gehörlose fühlen sich von Hörenden oft diskriminiert. Es gibt zu wenig Kommunikation zwischen Hörenden und Gehörlosen. Da gibt es eine Sprachbarriere, kulturelle Unterschiede, verschiedene Mentalitäten.

Missverständnisse gibt es häufig, wenn man glaubt, alles über die Welt des Anderen zu wissen. Das nennt man wohl Vorurteil…

Doch Hörende können sich oft nicht in die Lage von Gehörlosen versetzen. Aber Gehörlose können sich auch nicht in die Lage von Hörenden versetzen.

Es ist Zeit, mal ein paar Dinge zu klären. Über Hörende und über das Hören an sich:

Hörende schauen Gehörlose in der U-Bahn blöd an

Das passiert sicher ganz oft. Und Gehörlose empfinden das oft als Diskriminierung. Das ist aber oft nicht so gemeint:

a) Viele Hörende finden die Gebärdensprache toll. Sie schauen gerne zu. Und Hörende reagieren genauso auf Bewegungen, die sie sehen, wie Gehörlose. Und da sich in der U-Bahn meistens sonst nichts bewegt, schaut man hin. Würde jemand in der U-Bahn tanzen, dann würde man ja auch sofort hinschauen. Das ist nicht immer eine Wertung! Manchmal ist das einfach eine Art Bewunderung oder Interesse! Und Hörende versuchen, Gebärden zu erkennen, die sie vielleicht verstehen. Das ist ganz normal.

Wenn neben mir jemand in einer fremden Sprache spricht, kann ich gar nicht anders als zuzuhören und manchmal ist da ein Wort dabei, das ich verstehe: “Blah blah blah iPhone blah blah blah SMS blah blah blah Marienplatz…” Die meisten Menschen langweilen sich in der U-Bahn. Und da ist eine Gruppe Gehörloser, die sich unterhalten, eine kleine Sensation, denn man sieht es ja nicht so häufig.

b) Auch Gehörlose machen Geräusche, die Hörende hören können. Das ist mal ein Lachen, ein Husten oder manchmal auch ein Schrei oder Freude. Hörende passen ihre Stimme meistens an die Lautstärke der Umgebung und die Entfernung zum Gesprächspartner an. Ist es laut, sprechen, lachen, freuen sie sich laut. Hörende müssen sich in einer Disko anschreien, da haben Gehörlose klare Vorteile. Ein Hörender der in eine Bibliothek kommt, wo es total still ist, wird ganz leise flüstern. Wenn er mit normaler Lautstärke spricht oder laut wird, schauen auch ihn alle “blöd” an.

Als Gehörloser kannst Du Dir das so vorstellen: Du bist in einem dunklen Raum und jemand kommt mit einer Laterne herein. Dann schaust Du hin, was da ist. Leuchtet er Dir mit einer Taschenlampe direkt in die Augen, dann stört das und Du schaust ihn blöd an. Hörende reagieren eben auf Geräusche. Und wenn es laute Geräusche sind, ist das erstmal komisch. Die Leute reagieren da unterschiedlich. Der eine schaut kurz, schaut dann wieder weg. Andere finden das vielleicht störend. Dann gibt es sicher auch welche, die das lustig, interessant, spannend finden.

Als Gehörloser kannst Du Deine Stimme nur schlecht an die Umgebung anpassen. Das heißt, Du bist entweder zu laut oder zu leise.

Neulich haben sich zwei Jugendliche in der U-Bahn unterhalten. Beide haben Musik über Kopfhörer gehört und haben dabei mit “komischer” Stimme und viel zu laut gesprochen. Und alle haben sie “blöd” angeschaut.

Mit Stimme sprechen

Viele Gehörlose sprechen nicht gerne mit Stimme. Das kommt oft daher, weil sie schlechte Erfahrungen mit Hörenden gemacht haben und viele Hörende verziehen das Gesicht, wenn sie Gehörlosen beim Sprechen zuhören. Aber warum?

Wenn ein Hörender etwas schlecht verstehen kann - zum Beispiel weil jemand zu leise spricht - dann kneift er die Augen zusammen und verzieht das Gesicht. Das ist komisch, weil er dadurch auch nicht besser hört. Aber man kann da seine Mimik auch nicht kontrollieren. Es soll vielleicht zeigen “ich verstehe Dich ganz schlecht, sprich lauter oder deutlicher”. Also genau genommen eine Art Gebärdensprache, die von Hörenden aber oft falsch interpretiert wird. Das heißt nicht “ich finde das komisch / unangenehm, wie Du sprichst”, sondern “ich muss mich konzentrieren, weil ich Dich verstehen will.”

Und wenn Du beim Bäcker bist, es ist ganz still dort und Du schreist “Nussschnecke!!!” dann werden Dich die Leute dort komisch anschauen. Stelle Dir eine Gehörlosen-Bäckerei vor voller Gehörloser. Niemand gebärdet und die Verkäuferin schaut Dich an. Du winkst und springst hin und her, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, stampfst auf den Boden, schaltest das Licht an und aus und gebärdest mit großen und schnellen, hektischen Gebärden “Nussschnecke”. Dann wirst Du vermutlich auch dort komisch angeschaut, oder?

Dann spreche ich lieber nicht, sondern zeige nur mit dem Finger

Was unter Gehörlosen total normal ist, ist unter Hörenden oft unhöflich. Hörende haben als Kinder schon gelernt, dass man nicht mit dem Finger auf andere Leute zeigt. Hörende kommunizieren nicht so direkt wie Gehörlose. Sie kommunizieren viel umständlicher. Wenn ein Hörender beim Bäcker einfach nur “Nussschnecke” sagt, ist das nicht unbedingt höflich. Er würde sagen “Guten Tag, ich hätte gerne eine Nussschnecke”. In Österreich würde man vielleicht sogar sagen “Grüß Gott, gnädige Frau, ich hätte gerne eine Nussschnecke, wenn’s Ihnen nicht zu viele Umstände macht, bitteschön” :)

Und diese umständliche Sprache besteht zu 90% aus Höflichkeit, zu 10% aus Information.

Daher ist es für Hörende ungewohnt, wenn jemand in den Laden kommt und “stumm” auf die Nussschnecke zeigt.

Unter Gehörlosen wäre folgendes auch normal: die Verkäuferin fragt, ob Du auch ein Schoko-Croissant haben möchtest. Du magst aber keine Schoko-Croissants, deshalb verziehst Du das Gesicht und streckst vielleicht sogar die Zunge raus.

Wenn Du das bei einem Hörenden machst, kommt das komisch an. Der Hörende würde lächeln und sagen “Nein, danke.” In Österreich würde man vielleicht sagen: “Danke vielmals, aber für Schokoladen-Croissants konnte ich mich noch nie erwärmen, gnädige Frau, aber ich danke Ihnen vielmals für das Angebot.”

Die Deutschen sind den Österreichern oft viel zu direkt. Genauso wie Gehörlose den Hörenden oft viel zu direkt sind.

Solltest Du also was ändern?

Nein, nicht unbedingt. Aber Du solltest verstehen, warum das für Hörende eine komische Situation ist. Und je mehr Du dabei lächelst, desto weniger komisch ist das. Ja, wirklich! Probier’s mal aus. Oft hilft es auch, wenn Du gleich am Anfang sagst, dass Du taub bist.

Übrigens: auch für Hörende gibt es komische Situationen beim Bäcker. Gebäck hat manchmal seltsame Namen wie “Kirschplunder”, “Golatschn” oder “Mozarthörnchen” (lecker).

Oft weiß man nicht, welches welches ist, weil die Schilder oft falsch stehen. Und dann bestellt man eine “Golatschn”, bekommt aber einen Kirschplunder oder so. Da ist das Zeigen mit dem Finger oft besser.

Musik

Die meiste Hörenden lieben Musik. Und viele können sich eine Welt ohne Musik nicht vorstellen. Daher denken sie, Gehörlosen müsste etwas fehlen, wenn sie Musik nicht hören können und sie glauben, sie müssten Gehörlose dafür bedauern. Das verstehen Gehörlose wiederum nicht, denn denen fehlt ja nichts. Viele Gehörlose mögen die Vibrationen von lauter Musik. Und wenn Du Dir vorstellst, dass Du das nicht mehr spüren könntest, würde Dir vielleicht etwas fehlen und jemand, der das nicht mehr kann, den würdest Du vielleicht auch bedauern.

Und wenn ein Hörender Musik liebt, dann würde er das Erlebnis vielleicht gerne teilen. Mit Gehörlosen ist das etwas schwierig. Musik kann Hörende verbinden, so wie zum Beispiel ein Gebärdenchor Gehörlose verbinden kann. Aber Musik kann auch trennen, denn wenn der Nachbar ständig laute Musik hört, die ich nicht mag, dann stört mich das.

Gehörlose können weg schauen, wenn ihnen etwas nicht gefällt.

Aber weghören geht nicht so einfach.

Stille und Lärm

Hörende können es sich nicht vorstellen, wie es ist, komplett taub zu sein. Selbst wenn sie sich Stöpsel in die Ohren stecken, sie hören immer noch. Und schon gar nicht können sie sich vorstellen, wie es ist, wenn man noch nie gehört hat. Das ist auch gar nicht so einfach. Wie es ist, blind zu sein, das kann jeder einfach ausprobieren und die Augen zu machen. Bei Hörenden ist das nicht so. Überall sind Geräusche. Selbst, wenn man ganz alleine in einem stillen Raum sitzt: man hört die Schuhe auf dem Boden, die Kleidung macht Geräusche, wenn man sich bewegt und wenn man etwas älter ist, knacken die Gelenke :) Ein Hörender kann eine Maus hören, die in einer dunklen Ecke des Raumes an etwas knabbert. Sie orientieren sich auch so. Wenn man nachts aufsteht und es ist ganz dunkel, dann hört man vielleicht das Ticken einer Uhr. Und Hörende können Geräusche sehr gut orten. Man kann sagen, ob das Ticken vor, hinter, rechts oder links von mir ist.

Jeder Gehörlose, der das nicht glaubt, den fordere ich heraus: in einem stillen Raum verbinden wir mir die Augen. Ich bekomme eine Wasserpistole, Du stellst Dich irgendwo hin und machst ein Geräusch. Und schon wirst Du nass. Wenn Du Dich nicht bewegst :)

Ton-Designer machen sich sogar Gedanken darüber, wie sich ein Motor anhört oder eine Autotüre, die geschlossen wird. Oder ein Keks, den Du isst, ein Müsli u.s.w.

Das hat auch etwas damit zu tun, wie es sich anfühlt, in einen Keks zu beißen. Ja, das macht Geräusche und wenn man etwas wie eine Karotte oder Nüsse isst, dann ist das oft so laut, dass man nicht mehr hören kann, was im Fernsehen gesprochen wird! Ein Keks kann zum Beispiel wie eine kleine Explosion im Mund zerbröseln beim Draufbeißen oder weich sein und gar keine Geräusche machen. Und wenn man beim Arzt im Wartezimmer sitzt (da ist es meist sehr leise), dann wird man komisch angeschaut, wenn man etwas lautes isst. Die Papiertüte macht Geräusche, die gebrannten Mandeln krachen laut, wenn man darauf beißt und auch das Kauen macht Geräusche. Das kann peinlich sein und man traut sich dann gar nicht, weiter zu essen, weil man von den anderen “blöd” angeschaut wird.

Also wunder Dich nicht, wenn Du als Gehörloser angeschaut wirst, wenn Du etwas isst. Vielleicht ist das ja laut und die Hörenden schauen Dich nicht an, weil Du gehörlos bist, sondern weil Du Geräusche machst, die in dieser stillen Umgebung einfach auffallen. Das kannst Du als Gehörloser aber nicht wissen. Und die Hörenden um Dich herum können nicht wissen, dass Du das nicht wissen kannst. Vielleicht wissen sie nicht mal, dass Du gehörlos bist.

Wenn Dich also in dieser Situation jemand blöd anschaut, biete ihm einfach eine gebrannte Mandel an :)

Totale Stille ist für Hörende nur sehr schwer zu ertragen. Jedenfalls für längere Zeit. Genau wie Gehörlose ständig visuellen Input brauchen, brauchen Hörende Geräusche. In manchen Ländern werden Menschen gefoltert, indem sie in einen dunklen Raum ohne Geräusche gesperrt werden. Das ist furchtbar grausam.

Daher denken Hörende, dass es ganz furchtbar unerträglich sein muss, wenn man nicht hören kann.

Obwohl Hörende, wenn sie zum Beispiel Samstags in der Stadt beim Einkaufen waren, danach erstmal einige Zeit Ruhe / Stille brauchen. Denn wenn es zu lange zu laut ist, dann ist das auch anstrengend.

Wenn vor Deinem Haus eine Baustelle ist, dann ist das oft laut. Und wenn das lange dauert, dann verursacht das bei Hörenden Stress und kann sogar krank machen. Stell Dir vor, Dein Haus und alles darin würde die ganze Zeit vibrieren. Das würde Dich als Gehörlosen auch wahnsinnig machen!

Vielleicht erklärt das, warum viele Hörende denken, sie müssten die armen Gehörlosen bedauern.

Visuelle Wahrnehmung

Ein riesiger Teil unserer Wahrnehmung geschieht über das Auge. Bei Gehörlosen noch viel mehr. Wenn ich mit Gehörlosen unterwegs bin, müssen die immer auf mich aufpassen, dass ich nicht gegen ein Schild laufe, wenn ich mit denen gebärde. Gehörlose sind das viel mehr gewöhnt.

Hörende verlassen sich viel zu oft auf das Hören und laufen auf die Straße ohne zu schauen, weil sie gerade kein Auto hören. Aber vielleicht kommt da ein Fahrrad und das macht kaum Geräusche, wenn der Radfahrer nicht klingelt.

Wenn mehr Elektro-Autos auf den Straßen fahren, müssen die Geräusche machen, sonst würde es viel mehr Unfälle mit Hörenden geben. Da sind Gehörlose klar im Vorteil, denn sie schauen einfach viel mehr.

Hörende schauen sich manchmal beim Kommunizieren einfach nicht an. Die Verkäuferin beim Bäcker kann sich umdrehen und trotzdem noch mit Dir sprechen. Wenn Du nicht Gehörlos bist. Die meisten Hörenden sind es nicht gewohnt, andere Menschen während der gesamten Kommunikation anzuschauen. Daher geht das oft schief.

Während der Gehörlose den Gesprächspartner die ganze Zeit anschaut, sieht er trotzdem noch alles, was um ihn herum geschieht.

Ein Hörender wäre dabei visuell so auf den Gesprächspartner konzentriert, dass er nur wenig von allem anderen sieht. Das macht aber nichts, denn wenn irgendwas passiert, auf das er reagieren müsste, dann hört er das.

Wenn ein Gehörloser mit einem Hörenden kommuniziert, wird der öfters mal weg schauen. Warum macht er das? Das ist doch unhöflich! Wenn man miteinander redet, dann schaut man sich doch an! Das stimmt. Aber vielleicht hat er gehört, wie jemand seinen Freund ruft oder ein Auto hat eine Vollbremsung gemacht, ein Polizeiauto fährt mit Martinshorn und Blaulicht vorbei… das lenkt ab. Vielleicht hast Du das Blaulicht gesehen und das Auto im Augenwinkel trotzdem wahrgenommen. Der Fokus eines Gehörlosen ist einfach viel weiter. Der Hörende muss seine visuelle Wahrnehmung immer wieder neu fokussieren und so schaut er ständig in der Gegend herum, während Du das Blaulicht schon längst gesehen hast und gemerkt hast, dass es keine Gefahr für Dich ist, Du musst also nicht darauf reagieren.

Aber der Hörende kann seine Ohren nicht auf stumm schalten. Er hört Dinge, die er vielleicht gerade gar nicht hören will oder auch nicht hören muss, weil sie nicht wichtig sind. Aber das muss er erst herausfinden und dazu muss er hinschauen.

Also hab Geduld: Hörende sind meist einfach in ihrer visuellen Wahrnehmung benachteiligt :)

Hörende machen Gebärdensprache nach und sich darüber lustig

Danke, Kilian, für diesen sehr interessanten Hinweis. Ich schreibe hier mal, wie ich das sehe:

Es gibt einen Unterschied zwischen “über etwas lachen” und “etwas auslachen”. Wenn ein Hörender einen Gehörlosen auslacht, weil er die Gebärdensprache verwendet, dann ist es eigentlich gar nicht wert, dass man sich darüber aufregt. Das ist einfach nur doof.

In den meisten Fällen ist aber - glaube ich - etwas anderes gemeint: eine Art Parodie. Ich werde das erklären:

Im Bereich der Komödie / Comedy bei Hörenden ist es ganz normal, dass man über andere Sprachen Witze macht. Die Sprache gehört dann zur Figur dazu, die der Schauspieler darstellt. Zum Beispiel ein verliebter Franzose. Das passt sehr gut, weil es oft heißt, dass Franzosen so gute Liebhaber sind. Das ist natürlich ein Vorurteil, aber in der Comedy wird ja viel mit Vorurteilen gespielt! Und oft kann der Schauspieler auch gar kein Französisch, aber er macht den Akzent nach und benutzt manchmal Wörter, die sich französisch anhören, aber total erfunden sind!

Macht der Schauspieler einen italienischen Pizzabäcker nach, dann würde er die *typisch italienische Handbewegung* machen, mit italienischem Akzent sprechen, nur über Pizza sprechen, schöne Frauen und guten Wein. Und besonders lustig ist es dann, wenn da z.B. noch erfundene italienische Wörter für eine Pizza darin vorkommen. Zum Beispiel “Pizza fungi die piede” - etwa “Pizza Fußpilz”. Fußpilz heißt aber “Il piede d'atleta”, also “Athleten-Fuß” auf italienisch. Ein Italiener würde es zwar verstehen, aber es ist eigentlich nicht richtig.

Der Italiener oder der Franzose können das jetzt lustig finden oder auch nicht. Natürlich könnte der Italiener total sauer sein, dass man sich über seine schöne Sprache lustig macht und seine *typisch italienische Handbewegung* nachmacht! Und Gehörlose machen das ständig nach, wenn sie über Italiener sprechen. Aber weder der Italiener, noch der Franzose werden in der Regel beleidigt sein, wenn man Witze über ihre Sprache oder ihre Kultur macht. Ich finde es auch lustig, wenn Amerikaner die Deutschen oder die deutsche Sprache nachmachen. Es gibt sogar einen Film von Charlie Chaplin - “Der Große Diktator” - wo er Hitler nachmacht. Und wenn er spricht, dann spricht er eine Art Quatsch-Deutsch. Ein Deutscher wird kein Wort verstehen und es geht auch nicht darum, was er sagt, sondern wie es sich anhört! Deutsch klingt für Amerikanische Hörende sehr hart, während Französisch sehr weich klingt für deutsche Ohren. Daher ist völlig klar, dass ein Amerikaner, wenn er eine Parodie über einen charmanten Liebhaber machen will, eher einen Franzosen nimmt, weil die Sprache weich klingt. Und für einen Diktator eignet sich eine harte Sprache wie russisch, deutsch, etc.

Es gibt mit Sicherheit keine Sprache auf dieser Welt, über die noch keine Witze gemacht wurden!

Also, wenn die Gebärdensprache eine vollwertige Sprache ist, dann wird man auch darüber Witze machen!

Das kann man als Beleidigung sehen, aber eigentlich ist es eine Art der Anerkennung! Denn wenn man auch über Gebärdensprache Witze macht, dann heißt das doch eigentlich, dass sie als Sprache anerkannt wird!

Eine Parodie ist immer ein kleiner Spiegel, in dem manche Teile des Körpers dicker aussehen als sie sind. Wie ein Spiegel auf einem Jahrmarkt. Und ich finde es immer interessant, welche Teile das sind! Also was fällt den anderen Kulturen an mir oder uns Deutschen auf? Wie sehen die uns? Und oft finde ich das sehr lustig, weil da einfach viele Klischees und Vorurteile, aber auch Wahrheiten rauskommen (Deutsche tragen im Ausland immer Sandalen und Socken). Und - sind wir ehrlich - die Gebärdensprache arbeitet ja auch damit! Die Gebärde für “Spanien / Spanier” erinnert mich immer an einen Stierkämpfer, der das rote Tuch schwingt. In Wahrheit aber gibt es einen großen Anteil Spanier, die Stierkämpfe doof finden und nichts damit am Hut haben.

Und nicht jeder Italiener verwendet die *typisch italienische Handbewegung*.

Ich bin überzeugt, dass ein Großteil der Menschen es einfach spannend finden, dass man “mit den Händen sprechen” kann. Und eigentlich - ganz heimlich - würden sie das auch gerne können.

Der Typ, der Dich in der Bahn nachäfft spricht vielleicht gerade mit seinen Kumpels darüber, dass er in Gebärdensprache im Unterricht über seine Lehrerin lästern könnte ohne dass die es mitbekommt. Und das macht er nach, er spielt die Szene so, wie man es in der Gebärdensprache auch machen würde. Die anderen lachen. Und der Gehörlose empfindet es nur als Beleidigung, weil er nicht hören kann, über was die tatsächlich gesprochen haben.

 

Wer noch weitere Hinweise hat oder Kommentare, Korrekturen etc.: Bitte melden. Das gilt natürlich auch für Fragen!

sachas.blog (at) partcours.de

Samstag, 21. Juni 2014

Gebärdensprache - erste Worte: Ups, sorry!

Gebärdensprache - erste Worte: Wer hilft wem?

Gebärdensprache - erste Worte: Cool oder keine Ahnung?

Gebärdensprache - erste Worte: Kaffee oder Tee? Milch & Zucker

Gebärdensprache - erste Worte: Gehörlos, Hörend, Gebärdensprache

Gebärdensprache - erste Worte: Bitte und Danke

Gebärdensprache - erste Worte: Hallo, wie geht’s? Und tschüss.

Freitag, 20. Juni 2014

Gehörlos - Na und?

Was jeder über Gehörlose und Gebärdensprache wissen sollte

Es ist an der Zeit, einmal mit ein paar Vorurteilen gegenüber Gehörlosen aufzuräumen. Die meisten Hörenden wissen nur sehr wenig über die gehörlose Welt und immer wieder liest man in den Medien das Wort “Taubstumm”, was beweist, dass auch Journalisten zu wenig über die ca. 200.000 Hörgeschädigten in Deutschland und deren Sprache, die Gebärdensprache, wissen.

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Also gibt es hier eine kleine “Bedienungsanleitung”, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Und so dann und wann kommt vielleicht ein Kapitel dazu.

I. “Taubstumm”

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Der Ausdruck “Taubstumm” ist genauso wenig politisch korrekt wie “Neger” oder “Zigeuner”. Gehörlose empfinden diesen Ausdruck als Beleidigung. Aber warum? Für Hörende sind sie doch taub und stumm, man hört sie ja nicht sprechen. “Taub” an sich ist okay, das darf man sagen, denn es bezieht sich auf das Hören und das können Gehörlose ja nun mal nicht (echt jetzt). Aber stumm sind sie keineswegs.

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“Stumm” suggeriert das Fehlen einer Sprache oder der Unfähigkeit, mit Stimme zu kommunizieren. Sie haben einen Kehlkopf, Stimmbänder und eine Sprache. Die Sprache der Gehörlosen (und vieler Schwerhöriger) ist die Gebärdensprache. Und die meisten Gehörlosen können durchaus mit Stimme kommunizieren! Sie können herzlich lachen (nein, sie lachen nicht stumm und sie lachen auch nicht in “Zeichensprache”, sie lachen wie Hörende: Herzlich, laut, schallend, mit Tränen in den Augen und halten sich dabei den Bauch. Sie weinen, sie schluchzen und wenn Du sie ärgerst, schreien sie Dich an. Wer mal ein paar Stunden mit Gehörlosen unterwegs war weiss, dass Gehörlose keinesfalls stumm sind. Kleine Bemerkung am Rande: sie sind oft sogar lauter als Hörende, da sie ihre Stimme eben nicht an die Lautstärke eines Raumes anpassen können. Gehörlose, die eine Spülmaschine ausräumen, können ebenfalls sehr laut sein :).

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Werbung macht dumm

 

Der Ausdruck “Taubstumm” stammt aus einer Zeit, als man der Meinung war, man müsse Gehörlosen das Gebärden verbieten und sie zum Sprechen zwingen. Es ist ein diskriminierender Ausdruck, der - wenn man ihn von den Lippen liest - aussieht wie “Taubdumm”. Bis heute haben viele Menschen das Vorurteil, Gehörlose seien dumm. Das kommt wohl daher, dass - wenn sie mit Stimme sprechen - sich das *komisch* anhört. Komisch im Sinne von ungewohnt. Aber hast Du Dir mal zugehört, wenn Du Musik über Kopfhörer hörst und lauthals mitsingst? Das hört sich auch komisch an und Du triffst keinen Ton mehr.

Und weil sich’s *komisch* anhört, ernten Gehörlose in der Welt der Hörenden eben oft seltsame Blicke. Und bei vielen war das Spielen mit hörenden Kindern (und Kinder können grausam sein) schon ein Trauma, das dazu führte, dass sie so wenig wie möglich mit Stimme sprechen. Der Gehörlose ist nicht stumm. Hörende machen ihn dazu.

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Ganz schön gruselig

 

Ich wurde vor einiger Zeit Zeuge einer Szene beim Bäcker:

Eine Gehörlose bestellt in Lautsprache einen Kaffee zum Mitnehmen. Ein älterer Mann, ebenfalls Kunde, sieht sie mitleidig an. Als der Kaffee kommt, fragt sie, wo die Milch zu finden sei. Der ältere Mann schnappt sich sofort den Kaffee, geht damit rüber zur Milch und schenkt die Milch ein, rührt sogar noch um und reicht ihr den Kaffee.

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Das ist ungefähr so, wie wenn man einen Blinden einfach am Ärmel schnappt und irgendwo hin zerrt oder einen Rollstuhlfahrer einfach irgendwo hin fährt und führt meist dazu, dass der Gehörlose einen (mit Stimme und völlig berechtigt) anschreit: “Ich bin zwar taub, aber nicht dumm!”. Gehörlose brauchen in 90% des Alltags keinerlei Hilfe.

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Retourkutsche

 

Gehörlose betrachten sich nicht als…

II. Behindert?

Gehörlose betrachten sich sehr oft als “sprachliche Minderheit” und eben nicht als Behinderte. Klar, sie haben einen Schwerbehinderten-Ausweis, den brauchen sie auch, um zum Beispiel einen Dolmetscher für Behördengänge etc. zu beantragen. Und in Museen etc. bekommen sie Rabatt, denn sie können ja zum Beispiel den Audio-Guide nicht verwenden.

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Audio-Guide - bei Gehörlosen für die Katz

 

Bislang war es so, dass Gehörlose weniger GEZ-Gebühr zahlten, da nur ein Bruchteil der Sendungen untertitelt ist und ein Großteil des TV-Programms somit für die Katz ist. Man kann vielleicht die Empörung der Gehörlosen verstehen, als gefordert wurde, dass sie nun den vollen Satz bezahlen, doch noch immer sehr wenig Sendungen untertitelt werden.

Fragt man einen Gehörlosen, ob er - wenn er wählen dürfte - lieber hörend wäre, bekommt man in den meisten Fällen “Nein” zur Antwort.

Warum auch? Der Hörende denkt, dem Gehörlosen müsse etwas fehlen, vor allem die Musik und das Zwitschern von Vögeln, das Säuseln des Windes in Blättern eines Baumes… blah blah… aber fehlt dem Hörenden denn die Schönheit der Gebärdensprache? Fühlt er den Drang, in Gebärdensprache zu kommunizieren oder eine Aufführung des Gehörlosentheaters zu sehen? Oder Gebärden-Poesie? Okay, mir würde es schon fehlen. Aber den meisten Hörenden eben nicht. Und so fehlt den meisten Gehörlosen auch das Hören nicht, denn sie haben noch nie gehört.

Ein schwerhöriger Freund von mir bekam nun mit über 40 Jahren ein neues, digitales Hörgerät mit klarerem Klang und intelligenterer Verstärkung von Sprache z.B. vor Hintergrundgeräuschen. Er bat seinen Hörgeräteakustiker, die Qualität wieder schlechter zu machen, da er plötzlich Dinge hörte, die er gar nicht hören wollte und die ihn nur irritierten. So geht es auch Gehörlosen mit Cochlea-Implantat. Wenn man bis ins Erwachsenenalter nichts gehört hat und plötzlich die Geräusche in einer Tram oder Menschenmenge hört, ist das erstmal eine totale Überforderung.

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Cochlea-Implantat

 

Viele Gehörlose lieben Musik. Sie muss nur laut genug sein. Und dann tanzen sie auch. Das heißt aber nicht, dass sie Musik noch gut finden würden, wenn sie sie hören könnten!

Außerdem kritisieren viele Gehörlose das Cochlea-Implantat, da damit ein Teil der Gehörlosenkultur ausstirbt...

III. Gehörlosenkultur

Ja, richtig gelesen. Es gibt eine Gehörlosenkultur mit eigener Sprache, Theater, Gebärden-Chor, Gebärden-Poesie, Gebärden-Witzen, Tanz(!) und vieles mehr!

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Tobias Kramer, gehörloser Tänzer und Tanzlehrer

 

Gehörlose bleiben - aus oben genannten Gründen - oft unter sich. Das verbindende Element ist die Gebärdensprache. Es ist eine kleine Gemeinschaft, die wie eine Familie nach außen absolut geschlossen steht, in sich oft zerstritten ist, kreativ ist, sich gegenseitig hilft, liebt und hasst… es ist eben wie bei jeder Minderheit. Die Gehörlosenzentren in größeren Städten oder so genannte KoFos (Kommunikationsforen) sind die Kulturzentren der Gehörlosenkultur.

Nimmt man ihnen jedoch die Gebärdensprache, bzw. stirbt diese aus, weil immer weniger Menschen dieser sprachlichen Minderheit sie lernen, so stirbt auch die Gehörlosenkultur aus.

III. Lippen lesen

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Wie finden sich Gehörlose also in der hörenden Welt zurecht? Na klar, sie lesen Lippen, denken Hörende. Ja, wenn das so einfach wäre. Im Schnitt kann man nur ca. 20% der vermittelten Inhalte von den Lippen ablesen und das ist EXTREM anstrengend. O und U sind kaum zu unterscheiden, genauso S und T, H und R… wie soll das gehen? Bei einfachen Worten (Bitte, danke…) mag das gehen. Aber Hörende sprechen oft undeutlich, haben einen Bart, nuscheln vor sich hin, sehen den Gehörlosen beim Sprechen nicht an.

Dass Gehörlose problemlos Lippen lesen können ist ein Märchen.

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Read my lips!

 

Viel mehr hilft dabei die Mimik und die Gestik. “Mundbild”, Gestik und Mimik sind Bestandteile der…

IV. Gebärdensprache

Die Gebärdensprache heißt Gebärdensprache und nicht “Zeichensprache”, da sie eben nicht nur aus Handzeichen besteht.

Stellt man einen Gehörlosen hinter eine Wand mit zwei Öffnungen für die Arme, wird ein Gehörloser auf der anderen Seite ihn kaum verstehen. Das wäre etwa so wie beim Lippen lesen.

Gebärdensprache ist eine eigenständige Sprache mit ca. 18.000 Worten. Genauso, wie man im Deutschen Wörter praktisch beliebig zusammenbauen kann (Donaudampfschifffahrtsgesellschaft), kann man das in der deutschen Gebärdensprache auch und kommt so auf einen Wortschatz von über 250.000 Worten/Ausdrücken. Wieviele das genau sind, weiß keine Sau, denn leider gibt es noch nicht wirklich einen “Duden”.

Dazu kommt, dass es regionale Dialekte gibt und z.B. Wochentage je nach Region unterschiedliche Gebärden haben. Trotzdem verstehen sich Gehörlose aus unterschiedlichen Bundesländern untereinander genauso gut (oder schlecht) wie Hörende aus Bayern mit Hörenden aus Hamburg.

Nein, Gebärdensprache ist auch nicht international. In Deutschland gibt es die Deutsche Gebärdensprache (DGS), in Österreich die ÖGS, in der Schweiz die SGS, in USA die American Sign Language (ASL) u.s.w.

So gibt es in Europa mehr Gebärdensprachen als gesprochene Sprachen!

Gebärdensprache hat eine eigene Grammatik mit sehr spannenden Besonderheiten. Zum Beispiel “Richtungsverben”. Gebärdet man zum Beispiel “Helfen”, so kann diese Gebärde in verschiedene Richtungen ausgeführt werden. Gebärde ich in Deine Richtung bedeutet das “Ich helfe Dir”. Gebärde ich von Dir zu mir, bedeutet das, dass ich Hilfe von Dir bekomme. Ziehe ich dabei die Augenbrauen hoch, ist es eine Frage: “Hilfst Du mir?” oder “Soll ich Dir helfen?”. Möchte ich einen Kaffee, mache ich mit den Händen die Gebärde für Kaffee (wie eine Kaffee-Mühle), ziehe dabei die Augenbrauen hoch (=Frage) und schürze die Lippen, so dass eine Art “Dackelblick” dabei raus kommt. Ziehe ich die Augenbrauen nach unten, presse die Lippen dabei zusammen und nicke einmal, dann heißt das “Lass uns einen Kaffee trinken!”. Rolle ich die Augen, wenn ich “Bruder” gebärde, ist klar, dass ich gleich etwas über meinen Bruder erzähle, das irgendwie verrückt oder doof ist… So wie man in der gesprochenen Sprache eine Betonung verwenden würde oder sowas sagt wie “Boah, mein Bruder wieder, eh!”.

Ein ganzer Satz in einer einzigen Gebärde! Gebärdensprache ist sehr effizient!

Außerdem kann man Dinge oder Personen im Raum vor sich positionieren. Erzähle ich zum Beispiel von Thomas und Markus, mit denen ich etwas erlebt habe, dann gebärde ich Thomas und positioniere ihn links vor mir. Dann gebärde ich den Namen von Markus und positioniere ihn rechts vor mir. Im Nachfolgenden kann ich ein Gespräch zwischen den beiden wieder geben, indem ich deren Rollen übernehme (das heißt auch “Rollenübernahme”). Drehe ich mich leicht mit dem Oberkörper nach rechts Richtung Markus, dann spreche ich als Thomas. Drehe ich mich nach links zu Thomas, spreche ich als Markus. Ist Markus ein kleines Kind, das zum erwachsenen Thomas aufblickt, so schaue ich nach oben. Thomas hingegen schaut nach unten. So sind auch gleich die Größenverhältnisse klar.

Gebärdensprache hat ein Bisschen was von Theater. Manchmal spielt man dabei kleine Szenen. Dabei vermittelt die Art und Weise, wie ich das spiele, einen großen Teil der Inhalte. Erzähle ich zum Beispiel “Eine Katze schlich langsam über das Dach, aber das Dach war heiß und die Katze hüpfte herum und raste über das Dach!” so sind dafür nur wenige Gebärden notwendig und man übernimmt die Rolle der Katze. Ja, man spielt wirklich eine Katze: “Katze, Dach (oben drauf), AB HIER: ROLLENÜBERNAHME gehen (langsam ausgeführt), aber heiß (erschrecken), Pfoten anheben/hüpfen, wegflitzen”. Man kann das nur bedingt aufschreiben, doch in Gebärden würde es sogar ein Hörender verstehen, denn es ist sehr anschaulich. Und meist sogar unglaublich lustig.

Durch das “Spielen” der Szene wird unglaublich viel Inhalt übermittelt, wofür man viele Sätze in gesprochener Sprache benötigen würde, noch mehr in geschriebener Sprache, da man beim Sprechen die Stimme modulieren kann.

Ach ja und dann gibt’s noch die Zeiten… Erzähle ich etwas, das sich in der Vergangenheit abgespielt hat, gebärde ich am Anfang z.B. einmal “letzte Woche” und ab da ganz normal im Präsens, als wäre der Zuhörer in dem Moment dabei. Verpasst man das “letzte Woche”, weil man grad woanders hin geschaut hat, weiß man nicht, ob das vorbei ist, gerade passiert oder erst passieren wird.

Im Deutschen ist die Zeit in jedem Satz redundant enthalten: “Ich ging in die Stadt. Dort habe ich eingekauft. Dort fand ich eine Hose. Die hat mir gefallen. Dann habe ich sie gekauft und ging wieder nach Hause”. Das ist in der Gebärdensprache nicht so redundant gelöst. Sie ist sehr effizient, direkt, ohne blah blah.

Spricht man über eine Person im Raum, zeigt man mit dem Zeigefinger auf sie.

Gefällt einem etwas nicht, verzieht man das Gesicht oder streckt die Zunge raus.

Also, alles was man als Kind nicht durfte.

Hat eine Frau, über die man spricht, hängende Brüste, so gebärdet man auch hängende Brüste (und das verstehen auch Hörende). Es kann sogar sein, dass “Hängebrust” ihr offizieller Gebärdenname wird.

Spricht man über einen glatzköpfigen Mann, gebärdet man “Glatze” und auch das kann sein Gebärdenname werden. Mein Gebärdenname bezieht sich übrigens auf den Seitenscheitel, den ich früher einmal hatte. Das ist auch schon das Problem mit den Gebärdennamen, sie werden oft nicht aktualisiert und so kann ein glatzköpfiger Mann noch den Gebärdennamen “Pferdeschwanz” haben oder eine Frau mit Silikon-Brüsten weiterhin “Hängebrust” heißen.

Noch ein paar Beispiele für Gebärden-Grammatik:

Das Auto meines Vaters = Mein Vater sein Auto (ich nenne das schwäbische Grammatik)

Meine Mutter geht einkaufen = Meine Mutter einkaufen geht

Frag doch mal meinen Bruder, ob er ins Kino mitkommen will = Mein Bruder (positioniert im Raum) frag (Richtungsverb) ROLLENÜBERNAHME Kino mitkommen will? (Augenbrauen hochziehen).

Und die Gebärde für Bruder, Schwester oder “Geschwister” sind im Prinzip dieselben. Sie unterscheiden sich nur vom Mundbild her. Wenn ich “Bruder” meine, forme ich mit den Lippen das Wort “Bruder”. Bei “Schwester” eben das Wort “Schwester”. Daher ist das Mundbild ebenso wichtig, um die Gebärdensprache zu verstehen.

“Aber das ist ja dann Lippen lesen!” wirst Du Dir jetzt denken. Ja, ist es auch. Aber in Verbindung mit “Handzeichen”, Bewegung, Richtung, Geschwindigkeit, Position im Raum, Gesichtsausdruck, kurz: der gesamten Körpersprache, entsteht ein genaues Bild von dem, was derjenige sagen möchte.

Es gibt nichts, was man in Gebärdensprache nicht ausdrücken könnte. Gebärdensprache ist kein Hilfsmittel, kein Vehikel. Es ist eine vollwertige Sprache.

Fehlt wirklich mal ein Wort (das kommt im Deutschen auch oft vor und man borgt sich dann eben ein Wort aus dem Englischen oder erfindet ein Wort wie “Handy”), kann man es buchstabieren.

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Das ist sehr praktisch, wenn man mal eine Gebärde nicht kennt! Das geht in keiner anderen Sprache. Wenn ich einen Chinesen fragen möchte, wo der Bahnhof ist, hilt es auch nicht, wenn ich Bahnhof buchstabiere. In der Gebärdensprache geht das (zumindest zwischen DGS und Deutsch oder ASL und Amerikanischem Englisch, bzw. BSL und Britischem Englisch). So werden zum Beispiel auch Eigennamen buchstabiert. Da das aber verhältnismäßig lange dauert und anstrengend ist, buchstabiert man nicht jedes Mal SEBASTIAN SCHWEINSTEIGER, sondern man gebärdet SCHWEIN und HINAUFSTEIGEN. Bei Jogi Löw gebärdet man LÖWE. Oder für Angela Merkel gebärdet man entweder die hängenden Mundwinkel oder auch die sich berührenden Fingerspitzen vor dem Bauch.

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Angela Merkel

 

Das wird dann zu einer so genannten Namensgebärde. Die kann man sich nicht aussuchen, die wird einem von der Gehörlosengemeinschaft vergeben und ist manchmal mehr, manchmal weniger charmant. Fast immer geht es dabei um Äußerlichkeiten oder Eigenschaften wie beispielsweise “frech” oder “direkt”. Der Gebärdenname hat aber meist nichts mit dem Namen zu tun, der im Pass steht. Ein Mann und eine Frau können denselben Gebärdennamen bekommen, auch wenn sie Andreas und Jacqueline heißen. Ein anderer Andreas kann einen ganz anderen Gebärdennamen haben.

V. Umgang mit Gehörlosen (als Hörender)

Gehörlose erschrecken sich genauso wie ein Hörender, wenn man plötzlich hinter ihnen steht. Wir hören meist, wenn jemand rein kommt. Um Gehörlose hier “vorzuwarnen”, wenn man den Raum betritt, kann man - statt anzuklopfen - das Licht kurz an und aus schalten, wenn man schon drin ist. Alternativ kann man auch mit dem Fuß ein paarmal aufstampfen, Gehörlose reagieren dann auf die Erschütterung. Das geht allerdings nicht bei Beton-Boden oder Asphalt.

Sind da mehrere Gehörlose und der eine steht einem zugewandt, signalisiert man ihm, dass er den anderen anstupsen soll.

Oder man wirft einfach etwas :)

Gehörlose verstehen Dich besser, wenn Du mit möglichst viel Mimik und Gestik und deutlich sprichst. Du musst keine Gebärden verwenden, aber wie man “TÜR” oder “2. LINKS” fuchtelt, dürfte auch klar sein, oder? Wenn Du die Gebärde für “Danke” nicht kennst, nicke einfach, lächle und mach die Augen kurz zu. Wenn Du erzählen willst, was sich wo in einem Raum befindet, baue ein kleines Modell mit Deinen Händen und zeige. Beschreibe möglichst räumlich und anschaulich mit Deinen Händen.

“Das finde ich nun wirklich nicht gut, das gefällt mir nicht” mit ausdrucksloser Mimik versteht kein Gehörloser. Lass Dein Gesicht ausdrücken, was Du fühlst. Wenn’s zum Kotzen ist, dann tu so, als ob Du kotzt. Wenn’s geil ist, dann juble.

Wichtig ist nur: Schaut Euch an. Sonst wird’s nix mit der Kommunikation.

In fremden Ländern traut man sich ja oft nicht, ein Wort in einer fremden Sprache zu sagen, weil man Angst hat, statt “Vielen Dank” sowas wie “Ich furze in den Bart Deiner Mutter” zu sagen, weil man etwas falsch ausspricht. Bei Gebärden brauchst Du hier keine Angst zu haben. Alles, was Dir als Hörender an Gebärden einfallen wird für Gegenstände oder Tätigkeiten, darf verwendet werden (und wird oft sogar in der Gebärdensprache dieselbe Gebärde haben). Milch zum Beispiel. Was fällt Dir ein? Kuh. Melken. Genau das ist die Gebärde. Tür aufmachen? Klar: Klinke drücken, Tür öffnen. Genau. Da kann nichts unanständiges dabei rauskommen. Und wenn, dann ist es sicherlich lustig.

Taxi? Die Gebärde ist auch klar, oder? Nein? Haha! Reingelegt. Die ist jetzt nicht so eindeutig. Man formt ein X mit den Zeigefingern und führt die Hände von sich weg. Schlägt man die Zeigefinger aber aufeinander, kann das “Sex” bedeuten.

Aber wie gesagt: die “Handzeichen” alleine bedeuten meist recht wenig. Hat man sich bei Gehörlosen in der U-Bahn ein Handzeichen abgeschaut und fragt einen anderen Gehörlosen, wird er nicht sagen können, was das bedeutet. Das Gesamtbild mit Mimik etc. gehört dazu. Und mit der Zunge im Mundwinkel und zusammengekniffenen Augen wird aus “SEX” dann “GEILER SEX”. Der Kontext ist natürlich auch wichtig. Wenn es darum geht, wie man zum Bahnhof kommt, wird neben U-Bahn, S-Bahn, Tram und Bus wohl eher TAXI eine der Optionen sein und nicht “SEX” gemeint sein. Weiß man den Kontext nicht, ist es oft schwierig, Gehörlose in der U-Bahn zu “belauschen”. Wenn einer auf Dich zeigt und sich der andere umdreht, dann weißt Du aber, dass Du beim Lauschen erwischt wurdest. Dann hilft nur Lächeln und die Gebärde für “Tschuldigung” (Du streichelst ein paarmal mit der rechten Hand über den linken Unterarm).

Wer noch weitere Hinweise hat oder Kommentare, Korrekturen etc.: Bitte melden. Das gilt natürlich auch für Fragen!

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